Wer so wie Christian Wulff haufenweise mit moralischen Leitsätzen um sich wirft und als mahnende Instanz aufzutreten versucht, die sich ausgerechnet der Politikverdrossenheit der Bürger annehmen will, muss sich auch selbst an diesen Maßstäben messen lassen.
„Er hat sich verheddert in einem Geflecht von Beziehungen, zu denen er nicht die notwendige Distanz gehabt hat. Eine wichtige Voraussetzung für das Amt.“
Zitat: Strenges Urteil von CW über Gerhard Glogowski, der
1999 als niedersächsischer Ministerpräsident zurücktrat.
Eine zutreffendere Bezeichnung als Kommunikationsdesaster könnte es für das Medienspektakel, dass sich aktuell wegen der Affäre um den Hauskredit des derzeitigen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff abspielt, kaum geben.

Titel: Der Spiegel (17. Dez. 2011)
Auslöser dieser Geschichte ist er selbst, da er als niedersächsischer Ministerpräsident im Frühjahr 2010 „Besser die Wahrheit“* hätte sagen sollen, es aber anscheinend irgendwie doch nicht so ganz getan hat. Darüber hinaus haben seine Kreditgeber widersprüchliche Aussagen gemacht, die weiteres Nachfragen provozieren und nach Aufklärung verlangen, was dem „Politprofi“ klar sein müsste.
In seiner noch nicht überstandenen Affäre agiert er weder als Redner besonders geschickt noch verhält er sich als Staatsmann sensibel genug, um eine ranghohe politische Position auszufüllen. Der „Machtwille“ fehlt ihm nicht, aber die notwendige Kompetenz, um zu überzeugen, flutscht ihm permanent durch sein unbegabtes politisches Händchen.
Im Grunde ist er durch seine holprige – aber dennoch glatte – Politkarriere schnellstmöglich nach oben gestolpert und die Bewertung seines Verhaltens erfährt erst jetzt eine längst überfällige Korrektur. Ohne den weiteren Flankenschutz seines Sprechers Olaf Glaeseker zerbröselt sein konstruiertes Image völlig und Stück für Stück kommt der wirkliche Wulff ans Tageslicht.
Durch sein früheres wie heutiges Verhalten hat er deutlich bewiesen, dass es ihm an Reife für das Amt eines Bundespräsidenten fehlt und er nach meinem Empfinden für seine derzeitige Rolle eine komplette Fehlbesetzung ist. Seinen eigenen moralischen Ansprüchen kann er ohnehin nicht mehr gerecht werden. Ich bin gespannt, was dabei noch herauskommt und wohin es führt – zu weniger Politik(er)verdrossenheit wohl eher nicht.
„Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben.“
Zitat: Im Jahr 2000 äußerte sich Christian Wulff u.a. mit diesem Kommentar
zur Flugaffäre des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau.
Zwar leide ich nicht „physisch“ unter CW, allerdings ist „Wulffs Wahrheits-Wurstelei“ kaum etwas anderes als Salamitaktik und leider auch ein ziemlich blödsinniges, unprofessionelles Rumgehampel. Besonders krass ist das Ganze, wenn man sich nur mal daran erinnert, wie drastisch er selbst früher ähnliches Fehlverhalten anderer Politiker beurteilt hat.
Aber wer sich in einer derartigen den Staat repräsentierenden Position befindet und infolgedessen mit einer den meisten Normalsterblichen niemals zur Verfügung stehenden Rente bis an sein Lebensende rechnen kann, muss sich selbstverständlich allen kritischen Fragen stellen und diese eindeutig und klar beantworten können. Wer dann anfängt rumzueiern, wird erst recht und zu Recht auseinander genommen.
Die manchmal nervende „deutsche Gründlichkeit“ kann in diesem Fall durchaus auch eine Tugend sein, wenn sie nämlich hartnäckig an der Sache dranbleibt und bis ins allerletzte noch so winzige Detail genau wissen will, was los ist.
* Besser die Wahrheit ist der Titel eines Interview-Buchs über ein Gespräch von Hugo Müller-Vogg mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff aus dem Jahr 2007.
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